TUM Brussels Insights
Die Beziehung zwischen der EU und der Schweiz: es bleibt kompliziert
21. Februar 2022
Die EU und die Schweiz, das ist traditionell eine komplizierte Beziehung. Zum Wohle der Wissenschaft sollten die beiden Parteien jedoch alles daransetzen, ein Happy End zu erreichen, findet TUM Brussels Liaison Officer Valerie Schegk. Denn Forschung und wissenschaftlicher Fortschritt kennen keine Landesgrenzen und sollten daher nicht von politischen Positionen abhängig gemacht werden.
Die Schweiz liegt in der Mitte des europäischen Kontinents, ist aber nicht Teil der Europäischen Union. Und das aus eigener Überzeugung. Bei mehreren Volksentscheiden seit 1992 haben die Eidgenossen stets gegen eine Mitgliedschaft in der EU gestimmt. Das hat hauptsächlich politische Gründe, z.B. Unabhängigkeit von dem europäischen Konglomerat aus 27 verschiedenen Nationalstaaten und deren unterschiedlichen Situationen. Aber wenn es um Forschung und Innovation geht, wird es komplizierter.
Ein Konflikt mit Tradition
Die EU ist der wichtigste Handelspartner der Schweiz, während die Alpenrepublik der viertgrößte Handelspartner der EU ist. Über 100 bilaterale Abkommen regeln die Zusammenarbeit zwischen den beiden Parteien Um dieses Flickwerk von Abkommen zu beenden, haben Brüssel und Bern in den letzten 13 Jahren ein institutionelles Rahmenabkommen ausgehandelt, das die wichtigsten dieser Abmachungen bündelt und sicherstellen soll, dass die Schweiz die Regeln des EU-Binnenmarkts akzeptiert.
Im Mai 2021 verließ die Schweizer Regierung den Verhandlungstisch wegen Bedenken hinsichtlich Migration und Arbeitsrechten sowie der Befugnisse, die das Rahmenabkommen dem Europäischen Gerichtshof verleihen würde. Die EU hingegen besteht darauf, dass erst das Rahmenabkommen unterzeichnet werden muss, bevor neue bilaterale Einzelvereinbarungen getroffen werden können. Für diejenigen unter uns, die schon länger in der EU-Politikszene aktiv sind, kommt dies nicht überraschend, sondern fühlt sich eher wie ein Déjà-vu an.
Bereits 2014 wurde die Schweiz aus dem Forschungsförderungsprogramm Horizont 2020 ausgeschlossen. Damals unterstützte die Schweizer Bevölkerung knapp ein Referendum, das als Ziel die Eingrenzung der Zuwanderung aus den EU-Nachbarstaaten hatte. Dies stellte einen klaren Verstoß gegen das EU-Prinzip des freien Personenverkehrs dar. In der Folge wurden Schweizer Wissenschaftler:innen zwischen 2014 und 2016 vom EU-Forschungswettbewerb ausgeschlossen, eine im Rückblick schmerzhafte und teure Erfahrung, wie Wissenschaft zum Opfer von Politik werden kann. Die Folge war ein starker Rückgang der von Schweizer Institutionen koordinierten europäischen Forschungsprojekte.
Status quo: Verhandlungen in der Sackgasse
ETH Zürich, EPFL Lausanne und mehr: In der Schweiz sind einige der besten Universitäten Europas zu finden und die eidgenössischen Institutionen sind traditionell sehr erfolgreich im Wettbewerb um ERC-Anträge. Da sich die Verhandlungen aber eben immer noch in einer Sackgasse befinden, ist die Schweiz derzeit nicht zu Horizont Europa assoziiert und Schweizer Forschungseinrichtungen können keine EU-Fördermittel erhalten. Daraus ergibt sich die absurde Situation, dass sich die ausgewählten Schweizer ERC-Antragsteller 2021 – insgesamt 28 – eine neue Gastinstitution in einem der EU-Mitgliedstaaten suchen müssen.
Einige Institutionen bereiten bereits eine Talent-Scouting-Kampagne für diese „heimatlosen“ ERC-Grant-Gewinner:innen vor. Können wir in Zukunft eine Art Fußball-Transfersystem für hochtalentierte Forschende erwarten? Das mag übertrieben sein, aber die politische Instrumentalisierung der Forschung ist Realität.
Die Schweiz trägt seit langem zur Exzellenz des Europäischen Forschungsraums (ERA) bei. Sie ist Gründungsmitglied der Europäischen Weltraumagentur und beherbergt zusammen mit Frankreich die Europäische Organisation für Kernforschung (CERN).
Wir müssen uns also fragen: Können wir uns wirklich einen exzellenten europäischen Forschungswettbewerb ohne die Beteiligung von Schweizer Institutionen vorstellen? Aber auch umgekehrt: Ist die EU-Forschungsförderung nicht auch für Schweizer Hochschulen äußerst attraktiv, da sie neben finanziellen Vorteilen auch Netzwerke ermöglicht, Talente anzieht und mit renommierten Preisen verbunden ist?
Stick to science: Kann Forschung komplett losgelöst von Politik sein?
Lasst uns bei der Wissenschaft bleiben! Ist das eine Haltung, die der komplexen Realität der europäischen (Forschungsförder-)Strukturen gerecht wird? Die Europäische Union, die in diesem Fall als Förderagentur fungiert, ist ein sehr politisches Konstrukt. Sie wurde geschaffen, um Europa aus einem Nachkriegs- zu einem wirtschaftlich wettbewerbsfähigen Kontinent zu verhelfen.
Seit ihren Anfängen hat sich die EU enorm gewandelt: weg von einer reinen Wirtschaftsunion hin zu einer Werteunion mit gemeinsamer Währung. Friedensstiftung und Diplomatie stehen im Mittelpunkt der Europäischen Union, und die Partnerschaft geht viel tiefer und umfasst ein breiteres Feld als zu ihren Anfängen. Dies mit der Forschungs- und Innovationsförderung zu verbinden, bildet Nährboden für Konflikte. So sehen wir, dass Horizont Europa nicht nur durch den Exzellenzgedanken, sondern eben auch durch politische Motive geformt wird. Nur so ist zu erklären, dass die Schweiz momentan nicht aossiziiert ist, andere Länder mit weit geringer Forschungs- und Innovationskraft aber schon.
Natürlich ist europäische Forschungsförderung an Bedingungen geknüpft. Die Europäische Kommission macht sehr deutlich, dass das Geld der europäischen Steuerzahler auch zu deren Wohl ausgegeben werden soll. Dies manifestiert sich in der Umsetzungslogik des sehr wirkungsorientierten Programms Horizont Europa, von politischen Prioritäten und zentralen strategischen Ausrichtungen, die zu konkreten Ergebnissen in der Forschung führen sollen. Folglich müssen in den EU-Antrag genau diese politischen Prioritäten der Kommission integriert werden, um am Ende erfolgreich zu sein.
Fazit: Ist eine schnelle Lösung zu erwarten?
Die Frage ist nun: Können wir eine schnelle Lösung erwarten? Die Wissenschaftswelt hat eine einheitliche Antwort: Wir müssen. Der Preis ist zu hoch, denn ansonsten leiden die exzellente Forschung und Forschungszusammenarbeit und in einem nächsten Schritt die Innovation in Europa sehr unter dieser Blockade-Situation. Da sich Großbritannien derzeit in einer ähnlichen Situation wie die Schweiz befindet – auch wenn dort eine Lösung leichter zu erreichen scheint –, droht Europa, bewährte und langjährige Partner in Sachen wissenschaftlicher Exzellenz zu verlieren.
Viele Akteure, wie der Bundesverband der Deutschen Industrie, fordern beide Seiten auf, zügig wieder konstruktive Gespräche aufzunehmen. Andernfalls befürchten sie tiefgreifende Folgen für ganze Branchen, wie etwa der Medizinprodukte. Insgesamt wird das wirtschaftliche Momentum der gesamten europäischen Region gefährdet.
Die TUM pflegt langjährige Beziehungen zu Schweizer Partnern wie ETH und EPFL. Letztere ist Partner im Rahmen der EuroTech Universities Alliance. TUM-Präsident Thomas F. Hofmann hat sich wiederholt für die Schweiz eingesetzt und die Europäische Kommission aufgefordert, die Assoziierung der Schweiz so schnell wie möglich abzuschließen. Da dieser Entscheid in die breiteren Diskussionen über die künftigen Beziehungen zwischen der EU und der Schweiz eingebettet ist, sind schnelle Erfolge keine Selbstverständlichkeit. Am Ende kann man nur auf den gesunden Menschenverstand aller Parteien hoffen, dass sie lieber früher als später an den Verhandlungstisch zurückkehren.
Quellen:
BDI: Restructuring our partnership with Switzerland
Euractiv: Swiss scrap talks with EU on cooperation deal
Euractiv: Worlds apart: Switzerland and EU keep talking past each other
EuroTech Presidents express concern over excluding associated countries
Schweizerisches Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation: Horizon Europe and Euratom
Science Business: Switzerland’s exile from EU research is a cautionary tale for the UK
Swissinfo: Why is Horizon Europe important for Switzerland and the European Union?