Erasmus+ Chancengleichheit: Mit Baby im Ausland studieren
Eigentlich ist alles ganz klar, wenn man mit Erasmus+ ins Ausland gehen möchte: Man informiert sich über das Programm, bewirbt sich ein gutes Jahr vor dem geplanten Aufenthalt und wird im Idealfall für die Wunschuniversität akzeptiert. Was aber, wenn man kurz davor erfährt, dass man schwanger ist? Alles wieder absagen und zuhause bleiben – oder Mittel und Wege finden, mit denen sich der Traum vom Auslandsaufenthalt trotz erschwerter Umstände erfüllen lässt? TUM-Studentin Rafaela Averbeck hat sich für die zweite Option entschieden und berichtet im Interview, wie sie ihre zwei Semester an der IUAV in Venedig zunächst als Schwangere und dann mit ihrem Baby erlebt hat.
Hallo Rafaela, und erst einmal danke, dass Sie sich die Zeit für uns genommen haben!
Sie hatten sich ja für Ihren Erasmus-Aufenthalt beworben, bevor Sie schwanger wurden. Eine sehr mutige Entscheidung, dennoch nach Venedig zu gehen. Was hat Sie motiviert, dass Sie Ihre Pläne durchgezogen haben?
Für mich kam es gar nicht in Frage, nicht ins Ausland zu fahren. Irgendwie bekommt man ja alles organisiert.
In welchem Monat waren Sie, als Sie nach Italien gegangen sind?
Im zweiten Monat.
Haben Sie jemanden von Ihrer School kontaktiert?
Erst im vierten Monat habe ich die Fachberaterin und das Erasmus+ Team kontaktiert, um zu klären, ob es möglich ist, im zweiten Semester weniger ECTS zu belegen und wie das mit dem Top-up funktioniert.
Sie wussten also schon von dem Erasmus-Top-up für Studierende mit Kind?
Ja, es gab im Bewerbungsprozess bei einem Dokument die Möglichkeit, Top-ups anzukreuzen. Das war allerdings zu einem recht frühen Zeitpunkt, wo es für mich gar nicht relevant war. Aber ich habe mich später noch daran erinnert.
Wie war es dann in Venedig auf dem Campus? Wie haben Ihre Kommiliton:innen reagiert?
Alle waren sehr überrascht. Meine italienischen Gruppenpartner:innen meinten, ich hätte sie ein bisschen vorwarnen sollen, weil ich ihnen einfach so gesagt hab, dass ich schwanger bin. Auch meine WG-Partner waren etwas perplex, aber eigentlich haben sich alle gefreut.
Ein Nachteil für das studentische Miteinander war, dass ich kein Alkohol trinken konnte. An sich hat mir das nicht viel ausgemacht, aber den typisch venezianischen Aperol Spritz oder Select nach der Uni hätte ich doch ganz gerne probiert. Der war übrigens günstiger als alkoholfreie Cocktails. Ich fand es auch ein bisschen schwierig aufzupassen, kein rohes Fleisch, Fisch, Milch oder Ei zu essen. In einem anderen Land ist das ja doch nochmal etwas anders, auch mit der Etikettierung, aber auch das wurde schnell einfacher.
Von Vorteil war es vor allem Richtung Ende der Schwangerschaft, dass man meist einen Platz auf den überfüllten Wasserbussen – den Vaporettos – bekommen hat und vor allem dann mit Kind häufig nett angesprochen wurde. So konnte man viel leichter ins Gespräch kommen.
Wie hat die Gastuniversität auf Ihre Situation als Schwangere und dann später als Mutter reagiert? Haben Sie vor Ort Unterstützung erhalten?
Ich habe der Erasmus-Beauftragten an meiner Gastuni geschrieben, ob es noch etwas zu erledigen gibt und ob das mit den Kursen so in Ordnung ist. Sie hat mir geantwortet: "Stare tranquilla. Fare un bel bambino", was soviel heißt wie: "Entspannt bleiben, ein schönes Kind machen". Weitere Unterstützung oder Angebote in dem Sinn habe ich nicht erhalten, aber eigentlich auch nicht gebraucht.
Die Arzttermine habe ich ja hauptsächlich in Deutschland wahrgenommen. Und auch für die Geburt bin ich dann nach Deutschland gefahren – da war es mir wichtig, nahe bei meiner Familie zu sein.
Wie war der Tagesablauf Ihres Auslandssemesters mit einem Säugling?
Für die Zeit, in der ich mit Baby in Venedig war, hatte ich schon sehr frühzeitig eine Wohnung gemietet, die fünf Minuten zu Fuß von der Uni entfernt war. Meine Mutter und mein Freund waren dann einige Zeit dabei und haben sich um das Baby gekümmert. Ich bin dann in den Mittagspausen und anderen kurzen Pausen immer nach Hause und habe zwischendurch gestillt. Die anderen Studierenden waren alle sehr entzückt von meinem Baby und wollten, dass ich meine Tochter öfter mal mitnehme. Im Workshop ging das recht gut. Auch die Professorinnen und Professoren hatten alle Verständnis und haben sich gefreut, ein Baby im Kurs zu sehen.
Haben Sie andere Mütter oder Väter auf dem Campus kennengelernt?
Als ich meine Tochter einmal in der Uni dabei hatte, hat sich herausgestellt, dass wir auch einen frisch gebackenen Papa unter den Kommiliton:innen hatten. Seine Tochter war zwei Monate älter als Miriam. Wir haben uns ein bisschen unterhalten, und das war ganz schön, weil wir uns dadurch beide nicht so alleine in unserer Situation gefühlt haben.
Wie konnten Sie das Erasmus-Top-up nutzen?
Das Erasmus-Top-up hat mir insofern sehr geholfen, dass ich eine Wohnung in der Nähe der Uni mieten konnte – die zwar teurer war, aber mir das Leben wirklich viel leichter gemacht hat. In meiner anderen Wohnung, im vierten Stock, eine halbe Stunde zu Fuß von der Uni entfernt, hätten die ganzen Abläufe wohl nicht wirklich funktioniert.
Konnten Sie Ihrem Studium trotz Schwangerschaft und Kind gerecht werden und alle erforderlichen Credits (20 ECTS pro Semester) erfüllen?
Im ersten Semester in Venedig, als ich "nur" schwanger war, habe ich mehr Credits gemacht, nämlich 36. Das war ziemlich anstrengend. Im zweiten Semester habe ich dann nur noch 18 Credits gemacht. Einige Vorlesungen konnte ich im zweiten Semester nicht immer besuchen, aber dank Mitschriften konnte ich die Prüfungen trotzdem ganz gut bestehen.
Wurde Ihr Studienverlauf beeinträchtigt oder mussten Sie die Studienzeit verlängern?
Meinen Studienverlauf an der TUM musste ich nicht verlängern, da ich bereits ein Jahr vor meinem Studium an der TUM studiert habe und mir einige Credits anerkennen lassen konnte. Also inoffiziell werde ich dann doch zehn anstatt acht Semestern studiert haben.
Welche interkulturellen Erfahrungen haben Sie in Ihrer Situation als Schwangere und Mutter geprägt und welche Vorsätze haben Sie mit nach Deutschland genommen?
Italien ist ein sehr kinderliebes Land. Die Menschen waren oft sehr herzlich. Mein kugelrunder Bauch wurde des Öfteren von Studienkolleg:innen oder Freunden gestreichelt. In Deutschland würde das kaum jemand machen, aber in Italien kommt das schonmal vor und fühlt sich auch nicht merkwürdig an.
Mein Vorsatz für Deutschland ist, mich seltener abzuhetzen, weil es sich oftmals gar nicht lohnt. Das hat zwar nicht direkt etwas mit meiner Schwangerschaft zu tun, aber irgendwie finde ich das allgemein eine sehr gute Erkenntnis!
Vielen Dank für die spannenden Einblicke, Rafaela. Und alles Gute für Sie und Miriam!