
TUM Brussels Insights
Key enabling technologies – der Schlüssel zu Europas Wohlstand und Erfolg?
5. Juli 2021
Erst vor einem Monat hat die Europäische Kommission den weltweit ersten Rechtsrahmen für Künstliche Intelligenz (KI) veröffentlicht, um die Grundrechte von Menschen und Unternehmen zu garantieren und gleichzeitig die Einführung, Investitionen und Innovation von KI in der gesamten EU zu stärken. KI ist nur eine der Schlüsseltechnologien, aber der Schritt unterstreicht die vielen ethischen und anderen Fragen, denen wir uns stellen müssen. Auch um sicherzustellen, dass wir über die richtigen Kompetenzen verfügen, um Europa einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen. Oder können wir uns ein Leben ohne KETs vorstellen?
Schlüsseltechnologien oder Key enabling technologies, kurz KETs, treiben derzeit eine vierte industrielle Revolution an. Sie haben das Potenzial die Art und Weise, wie wir leben und arbeiten, langfristig zu verändern und es besteht kein Zweifel, dass sie das Herzstück von Innovation sind. Schlüsseltechnologien ermöglichen der europäischen Industrie, ihre Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten und von neuen Märkten zu profitieren. Seit 2009 markieren sie eine Priorität der EU-Industriepolitik.
2018 hat die Europäische High Level Group für Industrietechnologien die folgenden sechs Schlüsseltechnologien definiert:
- Additive Fertigung (Autonome Systeme, Sensorik, Industrie 4.0 und Robotik)
- Neue(Nano-)Materialien (Biomaterialien, 3D-Druck und -Design, Chemikalien, Polymere, Metalle und Glas, Rapid Prototyping)
- Life-Science-Technologien (Neurotechnologie, Bioengineering, KI in der Biologie, Bioelektronik, Medizintechnik)
- Mikro-/Nanoelektronik und Photonik (integriertes Schaltungsdesign, Quantencomputing, IoT-Sensoren und -Token, HPC)
- Künstliche Intelligenz (Deep Learning, Quanten-KI, Robotik, autonome Systeme, AI-as-a-Service)
- Sicherheits- und Konnektivitätstechnologien (Standards wie 5G, Netzwerkarchitekturen, Kryptographie, IoT-Netzwerke und -Protokolle, verteilte Ledger)
Technologieüberlegenheit: Bleibt Europa auf der Strecke?

Betrachtet man die sechs Schlüsseltechnologien, ergeben sich unterschiedliche Herausforderungen in Europa: Erstens fehlen weltweit Ressourcen und Rohstoffe, um in die Produktion neuer Technologien zu fließen. Zweitens ist Europa stark von außereuropäischen Lieferanten abhängig. Auch wenn wir in Europa über eine ausgezeichnete Landschaft exzellenter Hochschulen verfügen, gibt es in der EU immer noch nicht genügend Profile mit den richtigen Kompetenzen, um die Entwicklung und Nutzung von Schlüsseltechnologien voll voranzutreiben.
Außerdem steht Europa vor einem Dilemma: die Forschungsleistung ist stark, aber leider sind die Europäer nicht ausreichend in der Lage, die Wettbewerbsvorteile der Forschungsexzellenz in wirtschaftliche Erfolge umzuwandeln. Zu oft findet die Kommerzialisierung außerhalb Europas oder mit außereuropäischen Investoren statt.
Um eine auf KETs basierende Strategie in Europa zu verbessern, müssen wir die Kommerzialisierung verstärken, die regulatorische Fragmentierung reduzieren und die notwendigen Kompetenzen entwickeln, insbesondere für die breite Masse an Arbeitskräften. Es muss eine bessere Beschaffungsstrategie für Schlüsseltechnologien geben und wir müssen digitale und unternehmerische Fähigkeiten unterstützen.
Betrachtet man Europas globale Konkurrenten China und die USA, hinkt die EU bei Forschung und Entwicklung (F&E) Investitionen hinterher: Mit dem Endless Frontier Act plant die US-Regierung, in den nächsten fünf Jahren 100 Milliarden Dollar in die Tech-Entwicklung zu investieren und China gibt bereits jetzt mehr für F&E aus als alle 27 EU-Mitgliedstaaten zusammen. Für den Zeitraum 2021-2025 wird China seine F&E-Ausgaben jedes Jahr um mehr als 7 % erhöhen.
Technologische Souveränität: warum es uns interessieren sollte
Technologische Souveränität ist die Fähigkeit Europas, kritische Technologien zu entwickeln, bereitzustellen, zu schützen und zu bewahren. Besonders jene, die für das Wohl der europäischen Bürger, den Wohlstand der Unternehmen und die Fähigkeit zu unabhängigem Handeln in einem globalisierten Umfeld erforderlich sind.
Der Schlüssel für technologische Souveränität liegt in der Entwicklung von Forschungskompetenzen, die Fähigkeit Forschung zu kommerzialisieren, der Förderung von Bildung und unterschiedlichen Kompetenzen, um qualifizierte Mitarbeitende zu sichern und somit die europäische Führung zu erhalten bzw. zurückzugewinnen. Um das Ziel der technologischen Souveränität und somit europäische Autonomie und Wettbewerbsfähigkeit in der Welt zu erreichen, müssen wir verschiedene Elemente kombinieren:
- Wir brauchen eine beträchtliche Menge an F&E-Innovations-Finanzierung in Europa. Mit dem Start des 9. Europäischen Rahmenprogramms für Forschung und Innovation Horizon Europe in diesem Jahr und seiner neuen dritten Säule, einschließlich des European Innovation Council (EIC), geht dies in die richtige Richtung.
- Innovation in einem Ökosystemansatz muss ebenfalls ganz oben auf der europäischen Agenda stehen, um die Entwicklung neuer Technologien zu fördern.
- Bildung und die Förderung von neuen Kompetenzen, um die nächste Generation von Arbeitskräften auf die Herausforderungen und Chancen disruptiver Technologien und die neuen Umstände am Arbeitsplatz vorzubereiten.
Die Stärken Europas erneut nutzen: eine lebendige Landschaft von Innovationsökosystemen

Die schnell wachsenden Märkte in den KET-bezogenen Sektoren erfordern eine zunehmende Anzahl von Fachkräften auf allen Ebenen und in unterschiedlichen Disziplinen. Dies wurde bereits mehrfach angedeutet und bekräftigt: Die Europäische Kommission, die Mitgliedstaaten und die Regionen müssen das derzeitige Qualifikationsdefizit in der Bildung umfassend und integriert auf allen Ebenen und in den verschiedenen Bereichen angehen.
2019 waren sich führende europäische Forschungs- und Technologieorganisationen einig, dass die Schaffung hochqualifizierter Arbeitsplätze, der Aufbau robuster Innovationsökosysteme und nachhaltiger Wertschöpfungsketten besonders wichtig sind, um die Wettbewerbsfähigkeit in Europa sicherzustellen.
Universitäten und insbesondere Technische Universitäten spielen hier eine entscheidende Rolle bei der Überwindung des Kompetenzmangels und der entsprechenden Vorbereitung der Arbeitskräfte. Das Aufbrechen der Silos ist hier der Schlüssel, da Interdisziplinarität erforderlich ist, um echte Disruption zu erreichen. Außerdem „müssen wir unseren Studierenden beibringen, Risiken einzugehen“, sagt Herbert Zeisel, Leiter der Unterabteilung Technologieorientierte Forschung für Innovationen am Bundesministerium für Bildung und Forschung bei der von der EuroTech Universities Alliance organisierten Veranstaltung Key enabling technologies at the centre of Europe’s future prosperity.
Weiterbildungsangebote für Arbeitnehmende zur Verfügung stellen
Dies bestätigt Isabelle Barthes, stellvertretende Generalsekretärin der industriAll European TradeUnion. Sie ergänzte, dass diese neuen Technologien einerseits beängstigend für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind – aber eben auch unvermeidlich, da sie die Unternehmen zukunftssicher machen und Arbeitsplätze sichern. Laut Barthes ist es sehr wichtig, die Arbeitnehmenden bei der Einführung neuer Technologien früh einzubeziehen, damit sie den Wandel annehmen können. Neben Interdisziplinarität und Risikobereitschaft sind deswegen die Identifizierung neuer Zukunftstechnologien und die rechtzeitige Entwicklung geeigneter Weiterbildungsformate weitere wichtige Aufgaben europäischer Hochschulen.
Die Verantwortung der Hochschulen endet nicht mehr mit dem Studium, sondern setzt sich fort, denn sie müssen lebenslange Begleiter ihrer Absolventinnen und Absolventen und der breiten Belegschaft werden. Strategische und institutionalisierte Programme für lebenslanges Lernen sind hier zentral, an der Technischen Universität München wurde dafür gerade das Institute for LifeLong Learning (IL3) eröffnet. Die Universitäten müssen mit der Industrie zusammenarbeiten und ein wichtiger Bestandteil des lokalen Innovationsökosystems werden. So können sie Disruption gewährleisten und die Gesellschaft darauf vorbereiten, diese neuen Entwicklungen zu akzeptieren und zu übernehmen.
Fazit: Interdisziplinarität, Risikofreude und Weiterbildung im Zentrum des Erfolgs
Damit Europa in Zukunft eine führende Rolle in der Entwicklung von Schlüsseltechnologien einnehmen, die globale Wettbewerbsfähigkeit erhöhen und Abhängigkeiten abbauen kann, spielen viele Faktoren eine Rolle. Die politische Fragmentierung in Europa muss abgebaut werden und die 27 Mitgliedsstaaten müssen tatkräftig und mit einer klaren Marschrichtung zusammenarbeiten. Des Weiteren müssen Regularien vereinfacht und vereinheitlicht werden.
Neben der Politik kommt aber auch den Hochschulen eine zentrale Rolle zu. Zum einen darf die Forschungsstärke Europas nicht nachlassen und es muss weiterhin tatkräftig in exzellente (Grundlagen)Forschung investiert werden. Dies ist die Basis für zukünftige Innovationen. Darüber hinaus müssen sie den Studierenden aber eben auch unternehmerisches Denken und Freude am Risiko mit auf den Weg geben, damit die Kommerzialisierung von Forschung in Europa gesteigert werden kann.
Außerdem müssen die Hochschulen maßgeschneiderte Formate des lebenslangen Lernens auf den Markt bringen und damit die lokale Arbeitskraft mit immer neuen Kompetenzen ausstatten. Am Ende wird dies hoffentlich den Unterschied machen. wird – basierend auf den gemeinschaftlichen Werten – nicht nur weiterhin Vorreiter in der Entwicklung zukunftsorientierter Technologien sein, sondern auch im verantwortungsbewussten Umgang mit ihnen.
Bei Fragen wenden Sie sich bitte an Maria-Valerie Schegk.
Quellen
- https://www.europarl.europa.eu/stoa/en/events/details/key-enabling-technologies-for-europe-s-t/20210602EOT05621
- https://ec.europa.eu/growth/industry/policy/advanced-technologies_en
- https://ec.europa.eu/programmes/horizon2020/en/area/key-enabling-technologies
- https://www.youtube.com/watch?v=N0Vb5S_H5zc&list=PL2xhU17lY9ZF5DmyvN6wlSKoj8JbWMcqM&index=11
Video zur EuroTech-Veranstaltung über Schlüsseltechnologien
Wenn Sie sich für die von der EuroTech Universities Alliance organisierte Veranstaltung Key enabling technologies at the centre of Europe’s future prosperity interessieren, sehen Sie sich bitte die vollständige Aufzeichnung auf dem EuroTech-YouTube-Kanal an.
Über die EuroTeQ Engineering University
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