
TUM São Paulo Insights
Urbane Resilienz und Stadtplanung in Lateinamerika
In diesem TUM São Paulo Insight widmet sich Liaison Officer Sören Metz einer weltweiten Problematik, die in Brasilien und anderen lateinamerikanischen Ländern eine besondere Relevanz hat: Stadtplanung und urbane Resilienz. Denn in Lateinamerika leben mehr als 80 Prozent der Bevölkerung in Städten – nach Asien der größte Anteil weltweit. Daher ist der Bedarf an Entwicklungshilfe auf städtischer Ebene in Lateinamerika eine enorm große Herausforderung für die Region.
Laut UN liegen die Verluste von Städten aufgrund von Naturkatastrophen im Jahr durchschnittlich bei annähernd 250 Milliarden US-Dollar. Und bei dieser Summe wird nur der wirtschaftliche Schaden berücksichtigt. Der Verlust von Menschenleben wiegt weitaus schwerer. Städte können jedoch etwas für den Schutz ihrer Bewohner:innen tun, indem sie eine robuste physische und soziale Infrastruktur unterstützen – mit anderen Worten: urbane Resilienz schaffen.

Was bedeutet urbane Resilienz? Resilienz im Allgemeinen ist die Fähigkeit, Krisen zu bewältigen und sie durch Rückgriff auf persönliche und sozial vermittelte Ressourcen als Anlass für Entwicklungen zu nutzen. Urbane Resilienz bezeichnet spezifisch die Fähigkeit städtischer Systeme, während einer Stresssituation ihre Stabilität aufrechtzuerhalten und so Leben und Eigentum zu schützen. Diese Fähigkeit umfasst neben der Gefahrenplanung auch die Eigenschaft, flexibel zu sein und sich an neue Bedingungen anzupassen.
Stadtplanung und Wachstumsentwicklung in Lateinamerika
Bereits vor der Corona-Pandemie waren die Städte in Lateinamerika mit einer der größten Einkommensungleichheiten der Welt konfrontiert. Laut Internationalem Währungsfonds hat die wirtschaftliche Erholung der meisten Länder in dieser Region im Jahr 2021 eingesetzt. Allerdings wird für die Region ein Wachstum für die kommenden Jahre prognostiziert, das hinter dem erwarteten Weltwirtschaftswachstum zurückbleibt. Diese Tatsache unterstreicht die Notwendigkeit, gemeinsam über neue Lösungen nachzudenken, die den lateinamerikanischen Städten dringend benötigte Investitionen bringen können, um einen stabilen Aufschwung voranzutreiben.
Lateinamerikanische Städte bieten ein unglaubliches Potenzial für Wachstum und Innovation, besonders aufgrund der noch im Vergleich relativ jungen Bevölkerung und der stetig besseren Ausbildung. Diese Region könnte damit auch zu einem Vorreiter für Resilienz-Lösungen für den Rest der Welt werden.
Lösungsansätze für die Region
Die Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik (ECLAC) hat darauf hingewiesen, dass das Sozialgefüge in Lateinamerika und der Karibik ein großes Problem darstellt. Angesichts der zahlreichen sozialen Probleme in der Region ist "sozialer Zusammenhalt" zu einem zentralen Begriff in der lateinamerikanischen Entwicklungsgeschichte geworden. Regionalforscher:innen sind der Ansicht, dass nachhaltige Praktiken dazu beitragen können, die Armut zu beseitigen und die Lebensqualität zu verbessern, indem sie die Einzelnen, die Gemeinschaft und die Umwelt miteinander verbinden.
Nicht zuletzt werden soziale Aspekte wie der Aufbau von Sozialkapital als ein wesentlicher Mechanismus für das Verständnis des Wandels hin zu umweltfreundlichem Verhalten angesehen, in dem umweltfreundliches Verhalten direkt zu besseren Lebensverhältnissen in urbanen Räumen führt.
Salvador da Bahia – eine Fallstudie

Das Resilient Cities Network, die Avina Foundation und das IDB-Lab haben die Regionalinitiative Resilient Cities ins Leben gerufen, um innovative Lösungen zur Stärkung der urbanen Resilienz in Lateinamerika zu fördern. Der Privatsektor wird bei der Umsetzung der Pläne stark eingebunden.
Die mit 2.857.329 Einwohner:innen viertgrößte brasilianische Stadt Salvador da Bahia ist Teil des Resilient Cities Network. Im Rahmen des 2018 durchgeführten partizipativen Prozesses zur Erstellung ihrer Resilienz-Strategie hat die Stadt die Effekte von störenden Ereignissen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt auftreten, z.B. Hitzewellen, und chronischen Belastungen wie sozialer Ungleichheit ermittelt. Nach einer Ausschreibung zu Lösungsansätzen tragen nun verschiedene lokale Unternehmen zur Verbesserung diverser Herausforderungen bei.
Bei der Befragung wurde deutlich, dass der Bereich Lebensmittelversorgung zu den drei wichtigsten der anzugehenden Themen gehört. Für diesen Bereich fungiert das Start-up Combra als digitales Bindeglied für die Integration von Kleinerzeuger:innen in die Logistikkette, um die Vermarktung ihrer jeweiligen Produkte in den Restaurants der Stadt zu verbessern. So wird das Wirtschaftswachstum der lokalen Erzeuger:innen gefördert und es schafft Arbeitsplätze im Agrar- und Logistiksektor, wovon wiederum die lokale Wirtschaftsentwicklung profitiert.
Einen wertvollen Beitrag zur Wasser- und Abwasseraufbereitung in Salvador da Bahia leistet GBcycle. Das Start-up nutzt Biotechnologien für die Behandlung von Oberflächenwasser städtischer Flüsse. Das Unternehmen verwendet eine Bioraffinerie mit einem auf Mikroalgen basierenden Verfahren zur Beseitigung und Biotransformation von Schadstoffen in Biomasse und Bioprodukte mit hohem Mehrwert. GBcycle richtet sich an Industrien, landwirtschaftliche Betriebe und Kommunen, die eine angemessene Behandlung und Endbestimmung ihrer Restabwässer benötigen.
Unterstützung seitens der TUM durch Horizon 2020-Projekt CONEXUS

Die TUM ist über ein EU-finanziertes Projekt an Lösungsansätzen für die Region beteiligt: CONEXUS ist ein Konsortium aus Partnern der EU und aus Lateinamerika, das noch bis 2024 im Rahmen eines Horizon 2020-Projekts finanziert wird. Das Projekt arbeitet parallel in sieben Großstädten, ausgedehnten Ballungsräumen und Hauptstädten. Die Städte stellen sich gemeinsam der Herausforderung einer nachhaltigen Urbanisierung. Bei der Umsetzung von Verbesserungsmaßnahmen verbindet sie nicht nur ihre Erfahrung und der transdisziplinäre Ansatz, sondern auch ihre Vision, ortsbezogene „Nature based Solutions“ (NbS) und naturbasiertes Denken zu implementieren.
Der Schwerpunkt der TUM im CONEXUS-Projekt wird darin liegen, die Rationalität und Narrative zu stärken, die der Umsetzung und Schaffung von NbS zugrunde liegen. Hierbei sollen bestehende und initiierte NbS-Projekte evaluiert und ihre Leistungen sowie Nachteile wie Nutzen für lebenswertere, gesündere und widerstandsfähigere Städte analysiert werden, um kosteneffizientere zukünftige Sanierungsmaßnahmen, Pläne und Methoden anzuregen und anzuleiten.
Partnerstädte und die dazugehörigen Universitäten aus der Region sind Bogotá, Buenos Aires, São Paulo und Santiago de Chile. Von Seiten der TUM ist der Lehrstuhl für Strategie und Management der Landschaftsentwicklung von Prof. Stephan Pauleit eingebunden.
Quellen:
Kooperationen TUM-Lateinamerika
Sie haben Interesse an einer Kooperation im Bereich urbane Resilienz? Gerne unterstützt TUM São Paulo Liaison Officer Sören Metz TUM-Wissenschaftler:innen dabei, passende Partner in Lateinamerika für gemeinsame Projekte zu finden, um das Innovationspotenzial der Region zu nutzen.